Wie jeden Morgen begab ich mich auch heute zum Bahnhof, mit der Absicht, den nächsten Schnellzug nach Zürich zu besteigen. Die erste Station meiner umständlichen, täglichen Zugreise. Zur Abwechslung war ich rechtzeitig und konnte mich daher mit allen anderen Pendlern vor dem Geleise postieren und apathischen Blickes so tun, als gäbe es vor uns auf den Schienen etwas zu sehen.
Von einem jungen Herrn wurde ich mit der mit der Frage nach dem nächsten Zug nach Neunhof aus meinem Zustand geistiger Umnachtung geholt. Verwundert darüber, dass man sich diese Information nicht selbst zu beschaffen wissen kann, gab ich mich bemüht, meine soziale Seite zu aktivieren und dem Bedürftigen den leicht verständlichen Inhalt des gut lesbaren Abfahrtsplanes auf dem unübersehbaren Bildschirm zu erläutern. Der junge Herr bedankte sich und wirkte leicht beschämt, da er sich offenbar der Entbehrlichkeit seiner Frage bewusst wurde. Nebeneinander auf dem Bahnsteig stehend, begaben wir uns erneut in den autistischen Zustand des Pendelers, welcher in Richtung Gleis ins leere starrt, als gäbe es vor uns auf den Schienen etwas zu sehen.
Nun musste ich es doch wissen. Also brach ich das Schweigen und fragte ich ihn: "Nicht oft mit dem Zug unterwegs?" Er: "Nein." Kurze Pause. Dann er: "Und Du?" - "Noch nicht so lange. Seit bald 3 Monaten". Er lacht und meint: "Ich die nächsten 3 Monate!"
Darauf folgten Kurzfassungen zweier Leidensgeschichten, von hinterhältigen Wegelagereien, behördlicher Schikane und massiver indirekter Verkehrssteuern. Ein Gefühl von Überdruss macht sich in mir breit: zu oft das selbe Thema in letzter Zeit. Es folgte ein kurzer Moment der Verbrüderung, bevor der Schnellzug vor uns seine Bremsbeläge in krebserregenden Feinstaub umwandelte während er mit Wucht mitten in den dicht bevölkerten Bahnhof einfuhr, die Wartenden dadurch in hohem Masse abstrakt gefährdend. Kurz angebunden verabschiedete ich mich und setzte mich mit den folgsamen und nichtrauchenden Arbeiterbienen Richtung Wagentüre in Bewegung.